Moskau im Sommer. Die Sonne brät den Menschen. Ich möchte eine Kunstgalerie besichtigen. Google Maps sagt eine Stunde zu Fuß dorthin voraus. Daraus werden zwei. Wie kommt das?
Ich verlasse mein nahe der Metrostation Taganskaja gelegenes Hostel mit dem Ziel, die Kunstgalerie des georgisch-russischen Bildhauers Surab Zereteli zu besuchen. Es ist nicht weit zur Moskva. Und dann passiert es: Vor mir tut sich eine Geräuschkulisse auf. Rechts ein Rattern. Links ein Scheppern. Vor mir ein Hämmern. Statt das Plätschern des Flusses höre ich ein wahres Baustellenkonzert. Die Musik einer Großstadt.
Die Baustelle blockiert mir den Weg. Glücklicherweise sind die Regelungen und Absperrungen in Russland nicht so streng wie in Deutschland. So versuche ich als Möchtegern-Moskauer zu improvisieren und trotzdem durchzukommen. Vergeblich, ich müsste auf einer Straße voll schneller und aggressiver Autos laufen.
Also heißt es, die Straßenseite wechseln. Ich spaziere an einer Gruppe Bauarbeiter vorbei, von denen einer arbeitet und die anderen rauchen oder mit ihren Smartphones spielen. Diese würde man wohl als „Gastarbeiter“ bezeichnen, denn sie scheinen Menschen zu sein, die aus dem postsowjetischen Raum in die Metropole Moskau zum Arbeiten gekommen sind.
Doch auch hier ist irgendwann Schluss. Eine weitere Baustelle verhindert ein Durchkommen. Also einen noch weiteren Umweg nehmen und die Moskva überqueren. Diese Logik des einen Weg für richtig zu halten und dann doch eine andere Straße nehmen zu müssen wiederholt sich ein paar Mal. Meine Geduld wird auf die Probe gestellt.
Manchmal wünsche ich mir deutsche Ordnung. Eine Straße ist gesperrt? Dann, lieber Staat, zeig mir bitte eine alternative Route! Und überhaupt: Wie kann es eigentlich sein, dass tausende von Arbeitern an einem Sonntag von früh bis spät im Einsatz sind. Sollten die nicht besser bei ihren Familien sein? Gibt es hier kein Arbeitsschutzgesetz?!
Doch halt. Die Bauarbeiter schwitzen für einen höheren Zweck. Die unzähligen Baustellen überall in der Hauptstadt sind dazu da, die Stadt voranzubringen. Um Touristen zeigen zu können, wozu Russland fähig ist. Um die Steuereinnahmen aus der riesigen Russländischen Föderation nicht in die unwichtige Peripherie, sondern in das Zentrum zu investieren. Um Naherholungsgebiete zu schaffen. Und dort können sich ja dann auch die schwitzenden Arbeiter entspannen.
Nach zwei Stunden (statt einer, die von Google Maps vorhergesagt wurde) bin ich endlich am Ziel angekommen. Die Galerie ist heute geschlossen – diese Info war im Internet nicht zu finden. Doch dies ist nicht schlimm, denn der Weg ist das Ziel. Der Weg mit seinen Baustellen hat zum Nachdenken angeregt und zu diesem (hoffentlich informativen) Artikel geführt. Und außerdem fand ich in der Nähe der Kunsthalle einen kleinen Park, der zum Lesen einlud. Auch kein schlechtes Ende eines überraschend langen und überraschend erkenntnisreichen Fußmarsches.
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