Zwischen Rinderfilet und Wohnungsbau: Eindrücke aus Lemberg

Es ist ein sonniger Tag in Lemberg, Westukraine. Ein Tag, der ideal ist für einen Stadtrundgang. Am dritten Tag unserer Reise machen sich Jürgen Schipek, Werner Nuber und ich ein Bild von der Großstadt – und einem Bauprojekt.

Los geht’s am Hotel Dnister, durch einen Park hindurch in die Innenstadt. Am Platz vor der Oper neben den Wasserfontänen stehen lachende Mädchen in rosa Mänteln. Die Fontänen vor der Oper erinnern an die Wasserspiele am Antonius-Eck nahe des Hafens in Friedrichshafen. Sie laden ein zum Planschen, auch wenn die jungen Damen offenbar schon fertig mit ihrer Aktion sind. Ein Junggesellinnenabschied vielleicht.

Eine Stimme schallt durch die Stadt

Es erinnert zunächst wenig an den andauernden Krieg in der Ukraine. Bis auf die Dieselgeneratoren, die an vielen Ecken der Stadt stehen – für Stromproduktion im Fall der Fälle. Doch dann vernehmen wir ein laute Stimme. Es ist ein Priester, dessen Gebet durch einen Lautsprecher auf dem Kirchvorplatz und darüber hinaus zu hören ist.

Wir treten näher an den Eingang heran. Die Beerdigungsfeier für zwei Soldaten ist rappelvoll. Frauen, Kinder, Soldaten stehen andächtig bis zur Türe, mancher vergießt eine Träne. Der Priester trägt den Lebenslauf des jungen Mannes vor, der gestorben ist. Tot, aus, Ende. Das ist die harte Realität des Krieges.

Neue Wohnungen für Kriegsgefangene

Weiter geht es mit dem Taxi zu einem Wohnbauprojekt in einem Außenbezirk. Wir treffen Jurij, der im Auftrag der Stadt Lemberg Neubauten hochzieht. Dieses Projekt wird von der Nordic Environment Finance Corporation (NEFCO) finanziert.

NEFCO ist eine internationale Finanzinstitution mit Sitz in Helsinki, die auf grüne Investitionen spezialisiert ist – insbesondere in osteuropäischen Ländern. In der Ukraine unterstützt sie seit vielen Jahren Städte dabei, energieeffiziente und klimafreundliche Infrastruktur aufzubauen. Der Schwerpunkt liegt aktuell auf dem sogenannten Green Recovery Programme, das Kommunen beim Wiederaufbau helfen soll. Dabei geht es nicht nur um funktionale Gebäude, sondern um moderne, nachhaltige Wohnstandards – selbst in Krisenzeiten. Die Stadt Lemberg arbeitet laut Jurij eng mit NEFCO zusammen, um diese Standards umzusetzen.

Ein brauner Block ist bereits fertig, hier wohnen unter anderem freigekommene Kriegsgefangene, berichtet Jurij. Für die anderen Blocks steht immerhin der Rohbau. Ob ich mit den Bewohnern sprechen könnte? Schwierig, meint Jurij. Vielleicht beim nächsten Mal, wenn man sie zuvor fragt, ob sie ein Interview geben wollen…

Jurij muss weiter die Baustelle betreuen – und wir machen uns auf den Weg zurück in die Stadt. Ein besonderes Abendessen soll es sein. So ähnlich wie am Abend zuvor, als wir im Rebernya speisten – mit den Händen und einer umgehängten Papierschürze. Fleisch oder Fisch gab es, aber keinerlei Beilagen.

Das Restaurant des zweiten Abends ist nicht weniger kurios. The First Lviv Grill Restaurant of Meat and Justice kombiniert eine Grillküche mit einem mittelalterlichen Foltermuseum inklusive Gefängniszelle. Mein Wunsch, den Fleischkonsum zu reduzieren, wird hier endgültig unter Bergen von Rinderfilet begraben.

Bei so viel gutem Essen kann man leicht vergessen, dass in diesem Land Krieg herrscht. Die Angst, das Unbehagen trat bei mir mit der Zeit in den Hintergrund. Dennoch spüre ich als feinfühliger auf subtile Weise, dass etwas nicht stimmt. Besonders deutlich wird dies, als wir mit dem Bus die Grenze nach Polen überqueren. Da ist ein Aufatmen, eine Erleichterung, ein besseres Gefühl.

Was ich gelernt habe

Zwei Stunden dauern die Kontrollen an der Grenze, was nach Aussage von Werner und Jürgen vergleichsweise schnell ist. Von Polen geht es wieder den ganzen Weg mit dem Auto zurück nach Süddeutschland.

Obwohl wir faktisch nur drei Tage vor Ort waren, nehme ich viel aus dieser Zeit mit. Ein Land im Krieg zu sehen, auch mit den persönlichen Schicksalen von Vertriebenen: bewegend, emotional. Beeindruckend, wie Menschen wie Jurij und Nastja ihr Land wieder aufbauen. Und auch touristisch ist die Ukraine definitiv interessant – seien es Städte wie Lemberg oder die Karpaten. Wirklich genießen kann ich es, sobald der Krieg zu Ende ist.

Als Journalist hat mir die Reise einmal mehr ein grundlegendes Dilemma vor Augen geführt: Einerseits die Notwendigkeit, empathisch zu sein, sich auf Menschen und ihre Geschichten einzulassen – besonders in einem Land wie der Ukraine, das vom Krieg gezeichnet ist. Und die Chance, als Mittler zu wirken, der Hoffnungsträger sichtbar macht und Initiativen wie den sozialen Wohnungsbau begleitet. Andererseits braucht es genau dort journalistische Distanz: um die Dinge kritisch zu hinterfragen, Argumente zu prüfen und nicht zur PR-Verlängerung guter Absichten zu werden. Nur so bleibt es Journalismus – und wird nicht zum Marketing.

Ein eingängiges Lied…

Zum Schluss möchte ich ein Lied mit Euch teilen, das ich sehr oft auf der Ukrainefahrt gehört habe. Es trägt den Titel „Жить“ (Russisch für: „Leben“) und ist ein musikalisches Projekt, das 2016 vom russischen Komponisten Igor Matvienko ins Leben gerufen wurde. Es entstand als Reaktion auf den Flugzeugabsturz einer russischen Passagiermaschine über der Sinai-Halbinsel. Der Song ist Teil eines sozialen Projekts mit dem Ziel, Menschen in schwierigen Lebenssituationen zu unterstützen.

Der Videoclip zeigt mehr als 27 Künstler, darunter Grigory Leps, Polina Gagarina, Timati und viele andere. Die Botschaft des Liedes betont die Bedeutung des Lebens, der Hoffnung und der gegenseitigen Unterstützung. Es ermutigt dazu, trotz aller Widrigkeiten weiterzumachen und das Leben zu schätzen.

Eine sehr passende Botschaft auch für den Ukraine-Krieg, wie ich finde. Das Leben ist wertvoll! Ich wünsche mir, dass so bald wie möglich wieder Frieden herrscht.

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