Das erste Mal, als ich von einer „Königswahl“ erfuhr, dachte ich, es handle sich um ein kleines der vielen Programme, die von der Schule veranstaltet werden. Doch ich wurde eines Besseren belehrt.
Bei der Kampagne, die eine Woche lang in der Schule stattfindet und schon eine lange Tradition hat, passieren so allerlei witzige, gemeinschaftliche und für mich lehrreiche Momente, die ich im Folgenden schildern möchte. Man muss sich ein bisschen damit beschäftigen, um dies alles verstehen zu können. Das „Grundgerüst“ der ganzen Kampagne ist die Königswahl. Vier Jungen aus der Oberstufe buhlen um die Gunst der ganzen Schule, damit sie letztlich die Ehre haben, sich „König der Schule“ nennen zu können.
Wie ich es von den Jusos gewohnt war, dachte ich emanzipatorisch: „Es kandidieren bestimmt auch weibliche Königinnen.“ Dass dies letztlich nicht so war, liegt meiner Ansicht nach an zwei Gründen: Zum einen haben in Ungarn noch immer alte Rollenbilder einen höheren Stellenwert als z.B. in Deutschland; zum anderen aber erscheint mir wichtiger, dass es die jahrzehntelange Tradition dieser Schule ist, männliche Könige zu wählen. Mädchen wären hier schlichtweg fehl am Platz. Für meine Ravensburger Freunde: Das wäre ungefähr so, als würde man Mädchen ins Troko aufnehmen. Undenkbar!
Tanzende und schauspielernde Lehrer, singende X-Factor-Kandidaten – Ausnahmezustand pur
Umrahmt wurde diese Wahl von vielerlei Veranstaltungen. Zunächst einmal organisierte jede der vier Klassen, aus denen jeweils die Jungs kommen, ein Nachmittagsprogramm in der Turnhalle. Dabei verlosten sie Kleinigkeiten an das Publikum, führten witzige Wettbewerbe unter den Jungen durch und sorgten natürlich für gute Stimmung. Jedem der Kandidaten stand eine Lehrkraft zur Verfügung, mit der er zusammenarbeiten konnte bzw. musste. Was die Lehrerinnen und Lehrer alles während eines solchen Programmes mitmachten – das hätten sich meine Lehrer in Deutschland nicht im Traum einfallen lassen: Sie sangen vor der gesamten Schule Karaoke (wahlweise mit Eiswürfel im Mund), transportierten Eier zwischen ihren Knien von der einen Seite der Turnhalle zur anderen und führten Tänze vor. Hier zeigt sich für mich, dass die Woche der Kampagne auch für die Lehrkräfte ein Anlass zur Abwechslung und zur lockeren Gemeinschaft mit den Schülerinnen und Schülern ist.
Der Höhepunkt dieser Programme war vor allem für die Schülerinnen der Auftritt eines Ex-Kandidaten des ungarischen X-Factor. Die Klasse 12D hatte diesen (wie ich annehme) D-Promi eingeladen. Ich meine, er kann schon ganz gut singen. Dennoch muss ich ehrlich zugeben, er war mir dermaßen unsympathisch, angefangen von seiner Dauergrinse über seine andauernden schlechten Witze bis hin zu seiner Flucht aus der Sporthalle, weil er lieber einer anderen Lehrerin das Singen mit Eiswürfel im Mund überlassen will. Naja, ein „Celebrity“ eben. Glücklicherweise wurde mir alles übersetzt, sonst hätte ich jenes Geschehen ebenso wie die anderen Programme kein bisschen verstanden.
Weiter wurde in den Viertelstunden-Pausen zwischen allen Schulstunden gefeiert. Die vier Klassen übertrumpften sich gegenseitig mit hervorragenden Pfannkuchen, Waffeln und anderen Snacks. Zugleich wurde von DJs Partymusik aufgedreht, so schallte regelmäßig „Party Rock Anthem“ oder „Levels“ durch die Schule. Mein persönliches Highlight war, als „Smoke Weed everyday“ lief – für ein solches Lied in der Schule hätten die Lehrkräfte in Deutschland den Beteiligten lebenslanges Nachsitzen verordnet. Die Stimmung in den Pausen war unglaublich, besser als (fast) in jeder Disco. Alle tanzten ausgelassen gemeinsam, keiner war allein – und das um 9 Uhr morgens.
Der Umgang der Lehrerinnen und Lehrer mit diesem Ausnahmezustand war sehr unterschiedlich. Manche mischten sich unter Schülervolk, andere verkrochen sich im Lehrerzimmer. Wieder andere, die Sportlehrerinnen, boten in den Pausen Tänze vergleichbar mit einer Campingplatz-Animation an. Sie tanzten etwas vor, eine große Masse von Schülerinnen und Schülern versuchten sie nachzuahmen, darunter auch ich.
Ihre künstlerischen Fähigkeiten konnten die Klassen bei der Produktion und Bearbeitung ihres Kampagne-Filmes ausleben. Zugegeben, der Inhalt war meist recht dünn. Es ging eigentlich immer darum, dass der Königskandidat der jeweiligen Klasse für oder gegen etwas kämpft, z.B. dafür, dass er in der Schule beliebt wird. Witzig dabei war, dass viele Schülerinnen und Schüler und Lehrkräfte bei den Filmen beteiligt waren. Sie spielten Nachrichtensprecher, ihre eigene Lehrerrolle oder sogar Fernsehwahrsagerin, was bei der Präsentation der Filme bisweilen auf heiteres Gelächter stieß.
Am Freitag, 12.10., war es dann soweit, die Ergebnisse der Wahl sollten verkündet werden. Die ganze Schule stand wie angewurzelt auf dem Sportplatz, auf dem ein eiskalter Wind die Spannung noch verstärkte. Das Ergebnis: Papp Bence, ein Schüler der zweisprachigen Englischklasse ist neuer König. Ich freute mich sehr, da auch ich diese Klasse unterstützte und ihr T-Shirt trug.
Die Kampagne hört traditionell mit einer großen Afterparty auf, die dieses Jahr im Pletycafé, einer angesagten Disco in Tata stattfand. Ich fand sie einen gelungenen Abschluss, um wieder in den Schulalltag ohne jeden Tag Party überzugehen. Diese Woche wird mir trotzdem noch ewig in Erinnerung bleiben.
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