Lange wollte ich es nicht wahr haben, aber irgendwann sollte mein Freiwilligendienst und meine Zeit in Ungarn enden und ich sollte zurück ins langweilige Deutschland. Nun habe ich alles mitgemacht: schmerzhaftes Abschiednehmen, eine endlose Fahrt, Freude und ein komisches Gefühl beim Ankommen zugleich und schließlich viel „kulturweit“es Reden beim Nachbereitungsseminar.
Die letzte Woche Unterricht am Eötvös-Gymnasium versuchte ich noch einmal bewusst zu erleben, denn aller Wahrscheinlichkeit nach werde ich nie wieder in meinem Leben an einem ungarischen Gymnasium Deutsch unterrichten. Wie ist es, morgens in eine verschlafene, aber laute Klasse zu gehen? Etwas an die Tafel zu schreiben? Die Schülerinnen und Schüler nach ihrer Meinung zu Mehrfamilienhäusern zu fragen oder eine Präsentation über die Märzrevolution in Deutschland zu halten? Unterrichtstechnisch ging nicht mehr viel. Eigentlich plauderte ich nur noch mit den sich nach Ferien sehnenden Klassen. Viele der Gruppen, die ich unterrichtete, gaben mir nette Geschenke zum Abschied; im Gegenzug gab es typisch deutsch Milka und Haribo. Mir war ebenfalls sehr wichtig, Fotos mit ihnen zur Erinnerung zu schießen.
Das Schuljahr wurde feierlich bei drückender Hitze auf dem Sportplatz beendet. In Anzug bzw. Matrosenbluse sang die Schulöffentlichkeit die Nationalhymne, Schüler trugen mir unverständliche, aber immerhin schön klingende Gedichte auf Ungarisch vor und die Direktorin verlieh Preise für die Besten. Auch wenn für viele Beteiligten die Veranstaltung überflüssig erschien, hat sie mir doch gut gefallen. So bekam mein Freiwilligendienst ein „rundes“ Ende, da sich die Schuljahreseröffnungsfeier nicht wesentlich von dem gerade Beschriebenen unterschied.
Ein paar Tage später wurde dem Lehrerkollegium in der Aula ein wahres Festmal bestehend aus Reis, Hühnchenteilchen und vielem mehr serviert. Dies war also das endgültige Ende meiner Assistenzlehrtätigkeit in Tata … was mich etwas traurig stimmte. Auf der anderen Seite ist es keinenfalls das Ende der persönlichen Kontakte, die ich während meinem Jahr geknüpft habe.
Entspannen am Balaton – Schwitzen auf dem Sattel
Ich hatte nicht viel Zeit, wehmütig zu sein, da nämlich noch vieles vor meiner Abreise aus Ungarn passieren sollte.
Erster Stopp mit meinen Mitfreiwilligen Christian und Merle war Siófok, ein netter Badeort am südlichen Plattensee. Hier ließen wir uns es gut gehen, indem wir uns beispielsweise am Strand (auf Ungarisch übrigens auch „Strand“) bei Deep-House-Musik entspannten.
Dies hatten wir auch bitter nötig. Weil wir ein paar Tage später Teil der Fahrradkarawane waren. Wir fuhren mit insgesamt ca. 20 Freiwilligen von Zagreb nach Belgrad. Andere Touren starteten in Budapest und Bukarest, auch hier war der finale Treffpunkt Belgrad.
Kurz zusammengefasst: Es war sehr anstrengend – vor allem die zahlreichen Anstiege und die sengende Sonne – , wir verfuhren uns bisweilen und landeten in Mückenbrutgebieten, hatten aber auch sehr viel Spaß dank einer tollen Gemeinschaft und dem Spruch unserer Route „Da ist das Ding!“. (Hier kann man mehr über die gesamte Fahrradkarawane erfahren.)
Obwohl wir alle sehr erschöpft waren, hatten wir Lust und Gelegenheit dazu, Belgrad zu entdecken. Auf den ersten Blick muss ich sagen: Im Vergleich zu Budapest sehr hässlich, viele Plattenbauten noch aus dem Sozialismus. Dennoch fand ich einen versöhnlichen Abschluss mit der Hauptstadt Serbiens. Zum Schluss trafen sich nämlich viele Freiwillige beim „Sieger“-Monument nahe der Belgrader Festung. Von dort hatte man eine wunderschöne Aussicht auf die Donau und die Stadt. Pünktlich nachdem wir uns nach oben auf den Berg geschleppt hatten, begann die Sonne unterzugehen. Toll!
Die letzen Tage in meiner zweiten Heimat
Jetzt wurde mir mehr und mehr bewusst – oder musste mir bewusst werden – dass meine Zeit in Ungarn nur noch auf ein paar wenige Tage begrenzt ist. Ich wollte das nicht wahrhaben, dachte, ich müsse noch so viel in meiner zweiten Heimat machen.
Immerhin nutzte ich die restlichen Stunden mehr als angemessen. Es folgte ein letztes Wochenende mit allen Highlight, die Budapest zu bieten hat. Über ein einzigartiges legendäres Toastilla im „Urimuri“ bis hin zu elektronischen Klängen im auf interessante Art heruntergekommenen Klub „instant“ war alles dabei. Dann musste ich (vorerst) sagen: Tschüss, Budapest!
In Tata wartete eine richtige Herausforderung auf mich. Die komplette Wohnung musste entrümpelt (ja, über ein Jahr verteilt sammelt sich mehr an als man denkt) und geputzt werden, und schließlich die Tonnen an Dingen einigermaßen handlich zum Transport Richtung Deutschland verpackt werden. Dies gelang mir den Umständen entsprechend gut, trotzdem werde ich zu einem späteren Zeitpunkt ein paar zurückgelassene Sachen von Scott abholen.
Ich traf mich noch einmal mit meinen Freunden und Kollegen, die ich definitiv vermisse. Der Abschluss in Ungarn wurde mit einem typisch ungarischem Abendessen bei meinen liebenswerten Kollegen Ildi und András zelebriert. Wir verspeisten schön scharfen Kesselgulasch und als Nachtisch Palatschinken aller Art. Hach, werde ich das auch vermissen… (oder ich bekomme es hin Ungarisch kochen zu lernen).
Die Abfahrt im Zug war wieder eine runde Sache, denn der Bahnhof in Tatabánya war der erste und (vorerst) der letzte Ort, den ich in Ungarn betrat. Der Einstieg in den railjet war mit meinen fünf Gepäckstücken sehr hektisch. Im Laufe der zehnstündigen Fahrt hatte ich dann aber genügend Zeit, mein Jahr in allen Facetten zu überdenken. Die Ankunft in Tatabánya, die Pension mit meiner Ersatz-Omi, die vielfältige Arbeit in der Schule, meine hilfsbereiten Kolleginnen und Kollegen, viele Feierlichkeiten sowohl schulischer als auch privater Art, meine offenen Schülerinnen und Schüler, die ungarisch Sprache, die ich nun einigermaßen anwenden kann, meine Freundinnen und Freunde, die mir während meinem Auslandsaufenthalt ans Herz gewachsen sind, die aufregenden Reisen in MSOE und Israel, die Fahrradkarawane, Budapest, die schönste Stadt der Welt, meine selbst eingerichtete Wohnung…. kurz gesagt: meine wunderbare Zeit in Ungarn. Ich glaube da ist es verständlich, wenn man sentimental wird.
Kulturschock Rutenfest
Wie zu erwarten herrschte in der ersten Zeit nach meiner Ankunft in Ravensburg bei mir Verwirrung. Was mache ich hier? Warum sprechen alle Deutsch bzw. Schwäbisch um mich herum? Alles ist so gleich… habe ich mich nun verändert oder nicht? Fragen über Fragen… Was zur anfänglichen Verwirrtheit noch beitrug, war das Rutenfest, das traditionelle Heimatfest der Stadt Ravensburg. Festzelte, betrunkene Jugendliche, Trommlergruppen… dies erschien mir alles ein Stück fremd und unwirklich.
Doch die Eingewöhnung verlief schneller als gedacht. Meine Freunde und Familie hatten daran großen Anteil.
Über Umwege zum Nachbereitungsseminar
Vor dem NBS machte ich mit meinem Bruder eine zehntägige InterRail-Tour durch Skandinavien. Zuvor stand ich dem Plan mit Noreuropa eher kritisch gegenüber, ich wäre lieber noch einmal nach Magyarország (Ungarn) zurückgekehrt. Doch ich fand Gefallen an dieser im Vergleich zu MSOE so anderen Region. Gerade Nord-Norwegen gefiel mir landschaftlich sehr gut; die m.E. nach schönste besuchte Stadt war Stockholm. Als einzige Wermutstropfen stellten sich das wechselhafte Wetter und die (vor allem in Norwegen) teuren Preise heraus. Da zahlt man in einem Restaurant für ein Erdinger Weißbier 0,5 schon mal 14€…
Das NBS war wie gewohnt gut organisiert. Es half mir, einiges Erlebte noch besser zu verarbeiten und mich mit anderen Freiwilligen auszutauschen. Was andere von ihren Einsatzländern zu berichten hatten, war auch durch typische Musik erfahrbar. So versuchte ich mich als einer der DJs des Abschlussabends und lernte so Sounds aus den unterschiedlichsten Regionen der Welt kennen.
Wie geht es jetzt weiter?
Jetzt steht erstmal der Wahlkampf mit der SPD an, also wundert Euch nicht, wenn ich mit Peer Steinbrück an euer Tür klingle… Ansonsten werde ich noch die letzten Sonnenstrahlen genießen und mich auf mein Studium einstellen. Zum kommenden Wintersemester werde ich in Freiburg anfangen Jura zu studieren.
Dies ist der letzte Blogbeitrag über mein Jahr in Ungarn. Mir hat das Schreiben immer sehr viel Freude bereitet, auch wenn ich nicht so oft dazu gekommen bin. Ich hoffe, Euch hat das Lesen einen interessanten Einblick in ein Land und eine Region verschafft, die bei vielen Deutschen immer noch als „Ostblock“ gilt; über die man sich hierzulande arrogant erhebt und erstaunt ist, dass es dort Spülmaschinen gibt.
Vielleicht werde ich das Bloggen in anderen Form weiterführen.
In diesem Sinne: Viszontlátásra! (Auf Wiedersehen!)
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