God bless the United States… oder nicht?

Wie erholt man sich am besten von einem turbulenten Jahr in Russland? Richtig, mit einem noch turbulenteren Urlaub in den USA und Mexiko! In diesem ersten Teil berichte ich vom Abschied in Voronež und meinem Aufenthalt in New York und Washington. So viel sei schon verraten:  Genau wie im wilden Osten hatte ich im wilden Westen einen ordentlichen Kulturschock.

Meine Tage in Voronež sind gezählt. Nach einer chaotischen Abschiedsparty des „Buddy Club“ für die internationalen Studierenden soll ich meine (nach Deutschland und Ungarn) dritte Heimat verlassen.

Noch ein letztes Mal russische Pelmeni genießen

In den letzten Tagen passierte etwas Erstaunliches: Ich, der ich mich nur schwer mit dieser Stadt angefreundet hatte, wurde auf einmal nostalgisch. Ich hatte hier doch einige Menschen kennengelernt, die mir viel

bedeuteten, mit denen ich schöne Erlebnisse teilte. Es war eine verrückte Vorstellung, dass ich mit jenen nie wieder meinen Alltag in Voronež teilen würde… Würde ich letztlich sogar die verhassten Marschrutki vermissen? Auf jeden Fall hatte ich meinen Frieden mit Russland geschlossen und konnte das Land positiv verlassen.

Bevor mein Vermieter mich zum Voronežer Flughafen fährt, bittet er mich, sich mit ihm auf die Couch zu setzen. Was passiert jetzt? Präsentiert er mir eine Abrechnung mit allen Mietmängeln und bittet mich zur Kasse? Nein. Der Mann hält einen Moment inne und sagt in etwa: „Mit Gott fahren wir.“ Eine solche Zeremonie habe in Russland Tradition, um auf Reisen Sicherheit zu gewährleisten.

Die letzte Unterrichtsstunde mit meiner tollen Dozentin Alexandra und meinen Mitstudenten Kevin (links) und Nicolas (rechts)

Von antimaterialistischem Geist durchdrungen (und von Übergepäckgebühren getrieben) hatte ich etwa die Hälfte meiner bereits in die Jahre gekommenen Klamotten weggeworfen. Die Gepäckwaage meines Vermieters ging leider nur bis zehn Kilogramm, also musste ich nach Augenmaß und Handgewicht packen. Am Flughafen wuchte ich den Koffer auf die Waage, die schockierende 30 Kilogramm anzeigt. Also heißt es, zehn Kilo weniger Wichtiges meinem Vermieter zu übergeben, um jene Dinge bei Gelegenheit abzuholen.

Von Voronež geht es zunächst nach Moskau, dann weiter über New York nach Mexiko. Warum ich nicht direkt nach Hause fliege? Mein Bruder absolvierte ein dreimonatiges Praktikum im Silicon Valley in den USA und wollte danach unbedingt Mexiko bereisen. Da ließ ich mir es nicht nehmen, ihm Gesellschaft zu leisten. Und wenn mich diese Reise über New York führt, umso besser!

Kaum nahm ich meinen Platz in der kleinen Maschine nach Moskau ein, ist es, als ob ich gleich sterben müsste: Mein ganzes Jahr in Russland zieht an mir vorbei. All die Erlebnisse, all die Reisen, all die Menschen, all die Emotionen. Und dann flossen die Tränen. Es ist mir dabei egal, dass mich meine Nebensitzerin komisch anschaut, es muss einfach raus.

Am Moskauer Flughafen Šeremetevo muss ich unbedingt mein Handy aufladen. Hier kommt man als Fluggast nicht umhin, die Ladestation des russischen Staatssenders „Russia Today“ zu nutzen und dessen markante Slogans zur Kenntnis zu nehmen. Eine kleine Kostprobe: „Missed a plane? Lost an election? Blame it on us!“ oder „Come closer and find out who we are going to hack next“.

Vor dem Abflug höre ich ein Gespräch zweier Russen, die lästern: „Was wollen wir eigentlich in New York? Wir haben doch alles in Russland!“ Solche kurzsichtigen Aussagen können mich nicht beeindrucken. Voller Neugier steige ich in den Flieger in die „Hauptstadt der Welt“.

Hammer, Sichel und Thrombosen

Ehrlich gesagt machte ich mir ein wenig Sorgen, die zwölf Stunden mit Aeroflot zu fliegen. Man hörte so einiges – soll Aeroflot nicht etwa die Fluglinie mit der höchsten Absturzrate sein!? Doch meine Erwartungen werden mehr als übertroffen. Der Flieger ist modern, mit Bildschirmen inklusive zahllosen Filmen an jedem Platz ausgestattet. Das Essen ist lecker, selbstverständlich fleischhaltig. Hinzu kommen fesche, in Rot gekleidete Stewardessen, auf deren Hüten das Aeroflot-Logo prangt, das stark an Hammer und Sichel der Sowjetunion erinnert.

Neben mir sitzt Dmitrij, ein Biologe der Moskauer Staatlichen Universität (MGU), der Thrombosen erforsch. Interessiert frage ich ihn nach seinen Erkenntnissen – und er gibt mir prompt Tipps zur Vermeidung dieser hinterhältigen Krankheit. Dmitrij ist auf dem Weg nach Pennsylvania, wo er für ein paar Monate als Gastwissenschaftler tätig sein wird. Letztlich stellte sich heraus, dass er mit dem Dekan der politikwissenschaftlichen Fakultät der MGU befreundet ist und er mir eventuell ein Treffen vermitteln könnte. Dieses Angebot nehme ich gerne an.

Der Jetlag grüßt

Immer wieder komisch. So fühlt sich ein Jetlag für mich an. Als ob ich Achterbahn gefahren wäre, ist mir schwindelig. Als ob ich Drogen genommen hätte, nehme ich die Dinge um mich herum langsam wahr.

Jene Gefühle habe ich ausgerechnet vor der Passkontrolle des John F. Kennedy International Airport. Wie soll ich in einem solchen Zustand einen ordentlichen Eindruck machen? Was, wenn sie mich fragen, ob ich Terrorist oder Kommunist sei, und ich kann keine vernünftige Antwort geben? Und überhaupt: In welche Schlange muss ich mich eigentlich stellen?

Verwirrt blicke ich mich um. Aha, hier ist die Schlange für ESTA-Erstanträge. Warten, warten, warten. Dann kam ein nervöse Simon an die Reihe. Ein Gerät scannt meine Fingerabdrücke. Fragen? Gibt es überraschenderweise keine! Welcome to the United States of America!

Brooklyner Philosophie…

Die New Yorker sind hilfsbereiter, als ich mir das vorstellte. In Brooklyn angekommen, hilft mir eine freundliche Einheimische, das letzte Stück des Weges zu finden. Sie lebe schon seit dreißig Jahren in Brooklyn. Was sich seitdem so verändert hätte, frage ich. Die Mieten, antwortet sie wie aus der Pistole geschossen. Sie hätte vor kurzem eine Immobilie für das Doppelte des damaligen Kaufpreises verkauft. Komisch. Irgendwie hätte ich mehr eine Antwort erwartet, die auf den Charakter des Viertels abzielt und nicht eine solche Antwort. Geld spielt in der „Hauptstadt der Welt“ offenbar eine wichtige Rolle.

Meine Unterkunft ist klein und einigermaßen fein. Draußen hat es bis zu 90 Grad Fahrenheit… also ist es auch in meinem Zimmer trotz Ventilator dementsprechend heiß. Doch wenn ich eines aus meinem Auslandsjahr in Russland gelernt habe, dann das: Der Mensch kann sich an alles, wirklich alles, gewöhnen.

Ich mache mich kurz frisch und treffe dabei auf meine Airbnb-Mitbewohner. Eine russische Familie aus St. Petersburg. Was für ein Zufall. Sie sind sehr erfreut, mich kennen zu lernen.

How is it going?

Danach möchte ich meine Umgebung kennen lernen und einen Happen essen. Brooklyn wirkt ruhig und friedlich. Die Backsteingebäude geben dem Viertel die nötige Schwere, die Bäume wiederum die Leichtigkeit. Und prompt stoße ich auf ein Restaurant. Etwas unbeholfen betrete ich es und lasse mir einen Tisch geben. Lautes Football schallt aus den Fernsehern. Ansonsten ist die Deckenbeleuchtung gedimmt und wird nur durch Kerzen auf den vereinzelt belegten Tischen ergänzt. Die Kellnerin kommt zu mir und fragt: „Hey, good evening, how is it going?“ Obwohl ich weiß, dass eine solche Frage in den Vereinigten Staaten nicht tatsächlich darauf abzielt zu erfahren, wie es der Person geht, bin ich ein wenig ratlos, was ich antworten soll und stammle irgendwas von „Great, thanks“. Doch hier taucht schon das nächste Problem auf: Ich hatte meine Sprech-Lautstärke an Russland angepasst, wo man ziemlich leise spricht. In den USA allerdings wurde ich so kaum verstanden.

Risotto à la New York

Die Speisekarte sieht kreativ, aber auch teuer aus. Ich bestelle ein Risotto. Das schmeckt gut. Gleichzeitig merke ich mehr und mehr, wie ich kaum glauben kann, tatsächlich in den USA zu sein, dem Land der „unbegrenzten Möglichkeiten“, mit dem man tagtäglich konfrontiert wird, sei es seiner Politik oder seinen Filmen. So fühlt es sich bekannt an, aber zugleich fremd: Die Menschen sprechen so laut und viel, sind freundlich, aber für meinen Geschmack zu freundlich, sodass es nicht mehr authentisch wirkt.

Dann kommt die nächste Überraschung: Die Rechnung fällt noch teurer aus als gedacht, da die Preise in der Speisekarte ohne Steuer ausgewiesen sind. Wusste ich eigentlich, hatte es aber vergessen. Hinzu kommt noch das obligatorische Trinkgeld. 22 Dollar für ein kleines Pesto und ein Bier. Kann man mal machen, aber nicht immer. Verwirrt stolpere ich nach Hause, stehe einem Radfahrer im Weg, der sich auch noch bei mir entschuldigt. 

Ein belebter New Yorker Hauptbahnhof

Individualismus hautnah

Ich gehe schlafen, wache aber wegen des Jetlags schon um 5 Uhr morgens auf. Das traf sich gut, konnte ich doch dann schon meinen Tag planen und rechtzeitig vor den Touristenmassen zum allseits beliebten, 1250 Fuß hohem Empire State Building fahren. Was mir auf dem Weg dorthin zuerst auffällt, ist die Diversität der Menschen im Vergleich zu Russland. Dies drückt sich zum einen darin aus, dass die Menschen in New York sehr unterschiedliche Hautfarben, Sprachen, Kleidungsstile, usw. haben. Zum anderen spreche ich aber auch über die innere Einstellung, den Individualismus. Jeder New Yorker hat anscheinend seine ganz persönlichen Ziele, Weltanschauungen und definiert sich in Abgrenzung von anderen.

Russland andererseits schien mir vergleichsweise gleichförmig zu sein, kollektivistisch trotz des mittlerweile eingeführten kapitalistischen Wirtschaftssystems. Ethnisch trifft man in Voronež in den allermeisten Fällen auf Russen, bzw. Weiße. Auch sind mir oft sehr ähnliche Kleidungsstile und Weltanschauungen begegnet.

Solche allgemeinen Urteile sind selbstverständlich mit Vorsicht zu genießen, und man sollte natürlich nicht alle Bürger der multiethnischen Russländischen Föderation über einen Kamm scheren. Doch die grundsätzliche Unterscheidung in die zwei Pole individualistische versus kollektivistische Gesellschaften wurde mir bei meiner Amerikareise nach dem Jahr in Russland einmal mehr bewusst.

Ich erreiche endlich das einst höchste Gebäude der Welt, kaufe ein Ticket und nehme den Aufzug in den 86. Stock. Hier soll man die schönste Aussicht auf ganz New York haben. Und tatsächlich, der Rundumblick ist atemberaubend. Manhattan, Brooklyn, Queens und viel mehr bekommt man von oben zu Gesicht. Dann gab es gegen einen Aufpreis noch die Möglichkeit, in das oberste Stockwerk, das 102. Geschoss zu fahren, und zwar mit originalen Aufzügen aus dem Erbauungsjahr. Der Schaffner steuerte mit einem Drehknopf manuell, mit dem er steuerte, ob es aufwärts oder abwärts ging und in welcher Geschwindigkeit. Hierfür braucht man ganz schön viel Fingerfertigkeit.

Oben angekommen, kam ich mit dem Aufzugsmann ins Gespräch. Er berichtete über die schwierige Wohnsituation in New York, und dass er aber glücklich sei mit einer Wohnung in Manhattan für 1400 Dollar im Monat. Ein interessantes Gespräch, doch, zugegebenermaßen, so viel schöner finde ich das Panorama hier im Vergleich zum 86. Stockwerk nicht.

Der unbeschreibliche Ausblick vom Empire State Building

Paradoxe

Was die nächsten Tage folgt, ist ein wahrer Besichtigungsmarathon. Beeindruckend fand ich etwa die High Line, einen Park oberhalb der Straßenebene. Außerdem besichtigte ich unter anderem die altehrwürdige New York Public Library, das UN-Hauptquartier (leider nur von außen) und machte bei einer kostenlosen Walking Tour durch China Town und Little Italy.

Klare Linien

Dabei machte ich viele spannende Entdeckungen und gewann neue Erkenntnisse: Der Führer der Tour erzählte etwa, dass die Chinesen in China Town sich zunächst an die umliegende Architektur anpassten. Sie wollten nicht auffallen. Doch die New Yorker beschwerten sich. China Town sei nicht „authentisch chinesisch“. Erst dann fingen die Bewohner des Viertels an, chinesisch zu bauen.

Einmal stieß ich auf eine Demonstration der LGBTQ-Bewegung, die sich für die Rechte von Homosexuellen und anderen Minderheiten der sexuellen Orientierung einsetzt. Bemerkenswert hierbei war, dass die Redner oft von „Glory“, also Herrlichkeit, sprachen und ähnlich wie in der Kirche sangen. LGBTQ und Religion, passt das zusammen? Ein weiteres Paradox: Nun bin ich Besitz zweier Fahnen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Eine Regenbogenflagge, die ich bei der Demonstration erhalte, und eine Russlandflagge, die ich im Flugzeug bekam, weil es Tag Russlands war.

Ich bewege mich von A nach B entweder zu Fuß oder mit der Metro. Letztere hat oft Verspätung und ist nicht so stramm getaktet wie die Metro in Moskau. Auffallend ist des Weiteren die Werbung, die oft vom Bundestaat oder der Stadt New York kommt. Hier geht es oft um ein Hilfetelefon für Menschen mit Depressionen oder das Programm „NYC Safe“, bei dem für Aufmerksamkeit bei verdächtigen Geschehnissen geworben wird. Erstmal ist es positiv, dass eine Stadt solche Projekte aufzieht. Andererseits zeigt einzig die Etablierung solcher Programme aber auch, dass New York offenbar ernsthafte Probleme mit psychischen Erkrankungen und der Sicherheit hat.

Einmal höre ich in der Metro ein Gespräch dreier Damen mit. Zuerst prahlen sie mit ihren tollen Urlauben in Europa. Für eine der Frauen ist es aber ein Tabu, nach Paris zu fahren. Dafür habe sie nach den mehrfachen Anschlägen zu viel Angst.

Downtown bei Nacht

XL ist Standard

Vom vielen Besichtigen brauche ich ab und zu eine Pause, um die Reisebalance zu wahren. Diese komme ich etwa im H&M an der Fifth Avenue. Dabei fällt mir als erstes auf, dass die Musik im Laden zensiert ist. Ungewöhnlich für einen Europäer, der Schimpfwörter in Musiktexten gewöhnt ist. Als nächstes fallen mir die Größen auf. In Europa hängen ganz vorne zumeist die üblichsten Größen, M und L. Doch hier ist XL anscheinend die gebräuchlichste Größe. Oder spielten mir meine Stereotype über beleibte Amerikaner einen Streich?

Eine der besten Margaritas meines Lebens

Speaking of beleibt: Ich esse und trinke viel in New York. In Little Italy gönne ich mir etwa in „Lombardi’s“, der ersten Pizzeria New Yorks, eine Margarita. Diese kostet 21 Dollar, schmeckt wunderbar, doch wird zu meiner Überraschung auf einem Plastikteller serviert. Ich mache die Bedienung darauf aufmerksam. Diese meint, dass sie selbst echte Teller bevorzugen würde, dies aber eine Entscheidung des Managements sei.

Einmal probiere ich eine „Misugaru Latte“, einen koreanischen Mehrkorndrink. Schmeckte gesund! Doch auch weniger gesundes Essen an Imbissständen kommt nicht zu kurz, etwa eine riesige Brezel oder natürlich ein Hot Dog. New York wirkt wie ein teures Essensparadies mit einer schier unendlichen Auswahl und meist guter Qualität.

Nicht umhin komme ich, auch Pausen in Parks zu machen. Im Central Park sehe ich Kindern beim Entenfüttern zu. Im Bryant Park höre ich eine Lesung über Superheldenbücher aus der Perspektive von Genderstereotypen. Die Zuschauer diskutieren fleißig mit. Eine aktive Stadt!

Anti-Trump-Anstecker im Washington Square Park

Im Washington Square Park bestelle ich an einem Imbissstand ein „Soda“ und erwartete einen „Sprudel“, doch bekomme zu meinem Erstaunen eine Cola. Ich erfahre, dass in Nordamerika süße Erfrischungsgetränke auch als „Soda“ bezeichnet werden. Mit meinem Soda in der Hand laufe ich in Richtung den schönen Klängen eines Orchesters. Doch weit komme ich nicht, schon fragt mich ein Mann: „Hey man! Do you want something to smoke?“ Offenbar will er mir Gras anbieten. Ich lehne ab und gehe weiter in Richtung Musik. Das Orchester spielt die amerikanische Nationalhymne. Ich lauschte. Mir lief ein Schauer über den Rücken. Wieder einmal die Realisation: Ich war tatsächlich da, in den Vereinigten Staaten. Und es fühlte ich gut an.

Bedrängt von Obdachlosen

Eigentlich sollte ich mit der mexikanischen Billigairline Volaris in der Nacht vom 15. auf den 16. Juni von New York nach Guadalajara fliegen. Ich checke den Flug auf der Internetseite des JFK-Airports. Doch er taucht und taucht nicht auf. Also rufe ich bei der amerikanischen Volaris-Hotline an, wo ich erst auf Spanisch begrüßt werde und von Mitarbeiter zu Mitarbeiter weitergeleitet werde. Sodann erfahre ich, dass mein Flug um einen Tag verschoben wurde.

Das schön gestaltete 9/11-Memorial. Hat einer der Opfer des Terroranschlags Geburtstag, wird ein Blümchen an seinem Namen befestigt.

In New York hatte ich keine Unterkunft und ich sah es auch nicht ein, nochmal 50 Dollar für eine weitere Nacht auszugeben. Also melde ich mich bei meinem amerikanischen Freund Anthony, mit dem ich in Russland studiert hatte und der in der Nähe von Washington D.C. wohnt. Er sagt zu, mit mir einen Tag in Washington zu verbringen.

Am Abend mache ich mich zum zentralen Busbahnhof auf, um einen Nachtbus zu nehmen. Hier gibt es viele hilfsbereite Menschen, die einem verwirrten Ausländer den Weg zeigen. Doch halt! Es handelt sich hierbei um Obdachlose, die sich etwas dazuverdienen wollen. Sie geben mir Tipps, obwohl ich das eigentlich gar nicht nötig habe. Sie kommen einer nach dem anderen, stinken, sind penetrant, reden auf mich ein. Ich sage, ich bin ein armer Student. Ich sage, ich weiß den Weg. Doch es hilft nichts, ich komme nicht umhin, sie mit ein paar Dollar abzuspeisen, dass sie mich in Ruhe lassen.

(Alp-)Traum amerikanische Politik

Die Washingtoner Metro – 80er Jahre pur

Am frühen Morgen komme ich an der Union Station in Washington D.C. an. Blöd nur, dass sich die einzigen Sitzgelegenheiten mit WLAN im McDonald’s befinden. Für nur einen Dollar komme ich einen „Sweet tea“, von dem ich erwartete, dass er mich aufweckt. Doch nach einem Schluck stellte ich fest, wie der Name des Tees tatsächlich Programm ist: Das Getränk ist so eklig süß, dass es für einen Normaleuropäer kaum trinkbar ist.

Immerhin habe ich Internet, um Kontakt zu Anthony aufzunehmen. Zur Ruhe komme ich jedoch nicht, hörte ich doch ein Gespräch zwischen einem Kunden und einem McDonald’s-Mitarbeiter mit: Der Mann fragte den Verkäufer mit Rastas allen Ernstes, wie man am besten Hash-Brownies backt. Und letzterer findet die Frage gar nicht unangemessen und gibt ausführliche Tipps.

Mit Anthony vor dem Weißen Haus…

Endlich treffe ich Anthony, und wir machen uns auf den Weg in Richtung Machtzentrale des mächtigsten Staates der Welt. Was mir zunächst auffällt, ist, dass es in DC ruhig und sauber, fast langweilig im Vergleich zu New York ist. In der Metro und im Regierungsviertel auf den Straßen ist nicht so viel los, wie ich es erwartet hätte.

Den Kongress mit beiden Kammern und das Weiße Haus zu sehen, ist unreal. All das kannte ich nur aus den Nachrichten, und aus „House of Cards“. All die Macht, all die Pläne, all die Intrigen – hat sich alles genau hier abgespielt. Auch die kuriosen Ausfälle von Donald Trump, kommen alle von hier.

Ich erzähle Anthony davon, dass es mein Traum sei, in Washington für einen Senator oder Abgeordneten mit Russlandbezug zu arbeiten. Doch dann berichtet er mir von schrecklichen Arbeitsverhältnissen. Er selbst habe von sechs Uhr morgens bis sechs Uhr abends plus Überstunden für einen Hungerlohn im Wahlkampf geholfen, und wurde dann noch schlecht von seinem Chef behandelt – und dies sei bei Mitarbeitern im Kongress kein Einzelfall.

Bei der Busreise zurück nach New York kommt mir der Gedanke, Washington mit St. Petersburg zu vergleichen. Reiche „alte“ Architektur und vergleichsweise ruhig…?! Doch so viel spricht gegen den Vergleich, dass ich ihn verwerfe.

Über dem Kongress braut sich was zusammen… fast wie bei „House of Cards“

Fazit

Kann ich mir nun vorstellen, einmal in den Vereinigten Staaten zu leben? Allgemein: Ja! Zweimal wurde ich in New York nach dem Weg gefragt. Offenbar konnte ich mich schnell anpassen und bewegte mich so selbstverständlich durch Manhattan wie ein New Yorker. New York ist eine unglaublich tolle Stadt mit unendlich vielen Möglichkeiten. Sie ist als Reiseziel zurecht beliebt.

Außerdem glaube ich, dass mich ein Leben in den USA weiterbringt. Inspirierend finde ich die im Allgemeinen stärker als in Europa ausgeprägte amerikanische Arbeitsethik. Wenn man sich ein berufliches oder privates Ziel gesetzt hat und dies auch richtig leidenschaftlich zu verfolgen – das finde ich erstrebenswert.

Ein mitternächtlicher Spaziergang auf der Brooklyn Bridge ist empfehlenswert!

Doch tatsächlich in New York zu leben und zu arbeiten, wie ist das? Zumindest Leuten zufolge, die ich dort traf, ist es nicht leicht. Als ich mir an einem Imbiss einen Hot Dog holte, hörte ich den Verkäufer am Telefon sprechen: „Mohammed, brother, give me money, please! I will pay everything back.“ Wieder einmal die Geldprobleme. Als ich einen wunderschönen Sonnenuntergang an der Brooklyn Bridge sah, kam ich mit meiner Nebensitzerin auf der Bank, Oksana, ins Gespräch. Die ukrainisch-stämmige New Yorkerin sprach auch vom Geld. Entweder man sei einer der wenigen, die beruflich sehr erfolgreich seien, dann geht es einem finanziell und auch sonst gut in New York. Alle anderen gehe es elend. Die Frage, ob sie erfolgreich sei, beantwortete sie ausweichend.

Einmal hörte ich in der Metro ein Gespräch von Deutschen mit. Sie sprachen über die Schwierigkeit, in New York Freunde zu finden, weil jeder nur an sich denke. Sie wirkten müde und frustriert, hatten sich den Traum New York wohl anders vorgestellt und dachten darüber nach, bald zurück nach Deutschland zu ziehen.

Allerdings bestehen die Vereinigten Staaten natürlich nicht nur aus New York. Ein oder zwei Semester in Boston – warum nicht?

Vom Busbahnhof mache ich mich auf den Weg zum Flughafen. Beim Einchecken für den Flug nach Mexiko-Stadt kommt die Frage auf, ob ich als Deutscher ein Visum für Mexiko brauche. Ich verneine. Der mexikanisch-stämmige Flughafenmitarbeiter fragt mich daraufhin, ob ich Fan des FC Bayern München sei. Ich bejahe. Er sagt mit einem Augenzwinkern, dass Bayern-Fans ein Visum bräuchten. Mexikaner scheinen ganz schön humorvolle Menschen zu sein. Was mich im Land der Sombreros und des Tequilas erwartet, erfahrt ihr im nächsten Artikel.

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